Tiefe ist ein vieldeutiges Wort.
Es bezeichnet zum einen eine Maßangabe und macht in diesem Verstaendnis eine Aussage darueber, dass etwas eine große oder kleine Ausdehnung nach Innen hin aufweist, es also sehr oder wenig tief ist. Tiefe bedeutet jedoch auch Tiefgang. In diesem Sinne ist dasjenige tief, welches nicht an der Oberflaeche verbleibt, sondern, gleichsam nach Innen fortschreitend, zum Kern einer Sache, zum Wesen, vordringt. Schreibt man einer Sache oder einem Charakter Tiefe in diesem Sinne zu, so bezeichnet man damit haeufig dessen Faehigkeit zu gruendlicher Verstandestaetigkeit im Unterschied zu wenig reflektiertem Hin-Nehmen der Gedanken anderer.
Was bedeutet Tiefe in dieser Ausstellung ?
Fuer uns wird der Mensch zu einem tiefen Wesen durch zwei Dinge: Seine Faehigkeit zu verstehen und sein Vermoegen, sich zu erinnern. Diese beiden Eigenschaften erlauben es, sich als sinnstiftendes Wesen zu erfahren. Sinnstiftend zum einen durch praktische Werktaetigkeit in der Welt sowie zum anderen sinnstiftend für eines jeden Selbst, das im Laufe eines Lebens langsam hervortritt aus dem Dickicht alles Geschaffenen, Verstandenen und Gefuehlten.
Wir sind der Meinung, dass Tiefe in diesem Sinne dem Menschen mehr denn je abhanden zu kommen droht. Die Faehigkeit, zu verstehen, welche sich erst auf der Bereitschaft, Unverstandenem nachzugeben, gruenden muss, geht im anschwellenden Strom medialer Mundgerechtheit unter, welche die Komplexitaet einer herausfordernden politischen Aktualitaet zu scheinbarer Einfachheit reduziert.
Die Schwierigkeit direkter zwischenmenschlicher Kommunikation wird durch das Angebot intelligenter sozialer Medien abdingbar.
Tiefgang in der Kunst schließlich wird, vor dem Hintergrund einer neuartigen Klick-her-klick-weg-Mentalitaet, ermoeglicht durch ein noch nie dagewesenes mediales
Kunst- und Unterhaltungsangebot, zum Freizeitspaß für eine Bildungselite.
Wir sind der Meinung, dass hier Besinnung stattfinden und wieder mehr Tiefe gewagt werden muss.
Ein Viertel Zentimeter solcher Tiefe, 2.5-3 Millimeter Plexiglas, zwischen zwei bedruckten und durch ein Spotlicht zum Leuchten gebrachten Transparenzfolien, soll dazu dienen. Soll zeigen, dass ueberall in unserer Wahrnehmung Tiefe liegt, auch in der gedruckten genuin zweidimensionalen Fotografie an der Wand. Soll ebenso zeigen, dass diese Wahrnehmung truegen kann, erste Blicke auf Kunst, auf Aussagen und vermeintliche Fakten taeuschen koennen. Und dass es sich lohnt, auf manche Dinge einen zweiten Blick zu verwenden.
Jegliche Tiefe in den Dingen hat jedoch zur Voraussetzung die Tiefe in uns selbst. Die Beschaeftigung mit uns selbst. Das Lichten dieses Dickichts, aus dem sich hervorzukaempfen unsere Persoenlichkeit ein Leben lang versucht.
In jedem einzelnen der ausgestellten Objekte liegen 2.5-3 Millimeter Erinnerung, die uns ein Gang durch unsere Biografie und ein Innehalten zwischen den Schichten unseres Selbst freigelegt haben: Sei es die Reflexion einer bestimmten Lebenssituation oder sei es das reine gefuehlsmaessige Wiedererleben eines Momentes.
Dieses Bergen von Erinnerung aus der Tiefe unseres Selbst brachte nicht immer angenehme Emotionalitaet mit sich. Das liegt in der Natur von Erinnerung. Aber es gemahnte uns daran, wie lohnend ein solches Innenhalten in und die Beschaeftigung mit der eigenen menschlichen Tiefe sein koennen. Und es machte uns deutlich, wie sehr diese Faehigkeit in einer auf außere Vermarktung gerichteten Selbstoptimierungskultur zu verkummern droht.
2.5 oder 3 Millimeter sind nun freilich nicht sehr viel. Der
Mensch boete Tiefe bis ins Undarstellbare. Hier gezeigt ist ein Probemaß sozusagen. Ein Viertel Zentimeter Plexiglas als eine Hommage an die Tiefe des menschlichen Wesens.
Die Photographen
Janne Krippl
Janis Rozkalns
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